„Was aber Weisheit ist und wie sie wurde,
will ich verkünden und euch kein Geheimnis verbergen.
Ich will ihre Spur vom Anfang der Schöpfung an verfolgen,
ihre Kenntnis will ich offenbar machen
und nicht an der Wahrheit vorbeigehen.
Wer sich vor Neid verzehrt, soll mich nicht auf meinem Weg begleiten;
denn er hat mit der Weisheit nichts gemein.
Eine große Anzahl von Weisen ist Heil für die Welt,
ein kluger König ist Wohlstand für das Volk.
Erwerbt also Bildung durch meine Worte;
es wird euch von Nutzen sein.“
Buch der Weisheit 6,22-25
Die Weisheit hat ihr Haus gebaut, ihre sieben Säulen behauen“ (Buch der Sprichwörter 9,1) ist das Motto der Ausstellung „Lebens.Kunst.Weisheit“ und auch ihr Gestaltungsprinzip: Sieben Säulen geben der Einladung der Weisheit Ausdruck „Wer unerfahren ist, kehre hier ein. Zum Unwissenden sagt sie: Kommt, esst von meinem Mahl und trinkt vom Wein, den ich mischte! Lasst ab von der Torheit, dann bleibt ihr am Leben und geht auf dem Weg der Einsicht!“ (Buch der Sprichwörter 9,4-6).
Das Thema Weisheit ist bereits in den altorientalischen Religionen, in vorbiblischer Zeit, beheimatet. Davon beeinflusst finden wir in der jüdischen und christlichen Tradition, den Schriften des Alten und Neuen Testaments, vielfache Anklänge, Neuinterpretationen und eigene überlieferte Schriften. Diese nehmen Bezug zu Fragestellungen der jeweiligen Zeit und sind Ausdruck einer Suche nach gelingendem Leben im religiösen wie im gesellschaftlichen Kontext.
Unsere Ausstellung greift die Schriften der Weisheitsliteratur im Alten Testament auf, schlägt einen Bogen zu Texten des Neuen Testaments, zu Jesus, und fragt, welche Bedeutung diese Überlieferungen für uns heute im 21. Jahrhundert haben können.
Die zwei Innenseiten des Eingangs-portals dienen der Begrüßung und einer allgemeinen Einführung. Jede Tafel zeigt großformatige Bilder oder Fotos, die mit biblischen und poetischen Texten korrespondieren. Die Tafeln stellen Orte der Weisheit im Alten Testament vor und zeigen ein Visionsbild der Heiligen Hilde-gard von Bingen zum Motto der Aus-stellung. Auf der linken Seite werden die Weisheitsbücher der Bibel vorgestellt, erläutert mit biblischen und zeitgenös-sischen Texten.
Gerechtigkeit ist in der Bibel wie im Alten Orient und in der griechisch-römischen Antike ein zentraler Begriff. Gerechtigkeit bezieht sich in diesem Kontext nicht nur auf das Rechtswesen, sondern auch auf das individuelle Verhal-ten, die Politik, die Religion, ja sogar die Natur. Sie bezeichnet eine umfassende Ordnung in der Welt wie auch das Ver-halten, das dieser Ordnung entspricht oder sie wiederherstellt: Wohlergehen, Solidarität, Frieden (schalom).
Die drei Seiten der Säule sind aufgebaut nach dem Dreischritt der katholischen Soziallehre, wie sie Josef Cardijn für die christliche Arbeiterjugend entwickelt und Papst Johannes XXIII. in der Enzy-klika Mater et Magistra 1961 aufge-griffen hat: Sehen – Urteilen – Handeln.
Die Weisheit wird in biblischen Texten oft personalisiert und als weibliche Gestalt gedacht. Auf der Säule zum Thema finden sich Texte aus dem Buch der Sprichwörter und dem Buch der Weisheit. Sie gehören zur altorien- talischen Weisheitsliteratur, wie z.B. auch die biblischen Bücher „Hiob“ oder „Jesus Sirach“. Grundlegend für diese Literatur ist die Vorstellung von der Welt als „kosmos“, als geordnetes Ganzes, in das menschliches Leben sich einfügen muss, wenn es gelingen soll.
Die biblischen Texte stellen „Sophia“, die Personifikation der Weisheit vor. Von ihr wird gesagt, dass sie vor der Schöpfung bei Gott war. Die christliche Theologie reflek- tiert deswegen die Verbindung von „Weisheit“ und „logos“ (dem „Wort“, das nach dem Johannesevangelium „im Anfang“ war). „Frau Weisheit“ ähnelt der altägyptischen Maat. Von beiden Frauen-gestalten lässt sich die die feminis-tische Theologie inspirieren. Sie sucht und findet weitere Spuren der Weiblich-keit Gottes in der Bibel.
Jung und Alt – ein oft inspirierendes, manchmal auch spannungsreiches Gegenüber. Zahlreiche Themen werden hier berührt, von der demografischen Entwicklung, dem Miteinanderleben, Für- einander-Sorgen-Wollen oder manches mal auch -Müssen?, der Generationen-gerechtigkeit, Pflegebedarf, der Kinder- und derAltersarmut... das sind Lebens-fragen, die Menschen heute heraus-fordern: individuell und in der Familie, aber auch als Gesamtgesellschaft.
Betrachtet man die Bibel als Ausdruck und Zeugnis der Lebenserfahrungen von Menschen früherer Generationen, als Überlieferung der Geschichte gläubiger Menschen jüdisch-christlicher Prägung, können sich auch für Menschen in heutiger Zeit, spannende Impulse, Anregungen, Antworten auf diese Fragen der Lebenswirklichkeiten von Jung und Alt findet. Und da es sich um Lebenswissen und „Lebens- kunst“ handelt, bietet es sich an, in den gesammelten Weisheitsschriften des Alten Testaments nachzuforschen.
Das Buch Hiob setzt sich kritisch mit dem so genannten Tun-Ergehen-Zusammenhang auseinander. Er besagt, dass derjenige, der Gott fürchtet und sich an Recht und Gerechtigkeit hält, ein glückliches Leben führt, in dem es ihm an nichts mangelt.
Wer jedoch Gott vergisst und nach eigenem Gutdünken handelt, so die Botschaft des Hiob-Buches, wird Not leiden und Krankheit und Tod erleiden.
Dieses „Weisheitswissen“, das auf konkreten Erfahrungen beruht, gerät durch politische, wirtschaftliche und soziale Umwälzungen in Israel in die Krise. Auch diejenigen, die sich an Recht und Gesetz halten, erleben Verfolgung und Unrecht. Umgekehrt geht es den vermeintlichen Frevlern bestens.
Das Hiob Buch spitzt diese Krise zu, deutet aber auch Antworten an - auch für uns im Hier und Jetzt.
Zentrale biblische Textgrundlage für diese Säule ist das Buch Kohelet. Es ist ein Buch, dem gern eine pessimistische Weltsicht zugeschrieben wird, denn als kennzeichnend wird oft der Spruch: „Alles ist Windhauch“ betrachtet. Führt dies dazu, dass die Menschen aufge-rufen werden, sich in eine resignative Passivität zurückzuziehen? Eine inten-sivere Beschäftigung mit diesen bibli-schen Texten offenbart eine gelassene Weltsicht, voller Impulse für Menschen in heutiger Zeit.
In den Texten der klassischen Weisheitsliteratur geht es um das Ziel und den Sinn des Lebens. Zunächst vermutlich ganz auf die Beamtenaus-bildung hin ausgerichtet, wurden die weisheitlichen Bücher immer mehr zu allgemeinen Lebensregeln; - vergleichbar mit der heute so beliebten und vertrau-ten Literatur zu Lebenskunst, Achtsam-keit, Ermutigung und den Ratgebern aller Art, die Orientierung und Hilfe bieten wollen.
Dabei geht es um das „große Ganze“, aber durchaus auch um das Glück des Augenblicks. Im Hier und Jetzt die Möglichkeiten zu Freude und Glück erkennen und ergreifen - auch das ist weise.
Diese Säule macht all dies zum Thema: Von der Einladung der Weisheit, sie und ihre Lehren zu wählen bis hin zu ihrem Ziel: dem Glücken menschlichen Lebens in Gemeinschaft, blendet aber auch das uns allen so vertraute Scheitern nicht aus.
Diese Säule beleuchtet die engsten, intimsten Beziehungen zwischen Menschen und verknüpft die biblischen Texte mit Texten des zwanzigsten Jahrhunderts.
Das Themenfeld „Liebe – Freundschaft – Sexualität“ nimmt in der Bibel einen wichtigen Raum ein, auch in der Weis-heitsliteratur. Die Säule greift die positiven Aspekte dieser Aspekte auf.
Zur Zeit Jesu waren weisheitliches Den- ken und weisheitliche Theologie in Israel und in der ganzen Region weit verbrei-tet, allgemein bekannt und anerkannt. So können Jesus und das früheste Christentum von Gott wie von Jesus und auch vom (Hl.) Geist in weisheitlichen Kategorien und Bildern sprechen: Jesus ist zur Weisheit ein Freund, ihr Anhänger, ihr Kind, ein Verwandter, ihr Gesand- ter, ihr Bevollmächtigter, ihr Nachfolger, ihre Präsenz ... – mannigfaltig deutlich greifbar, aber schwer präzise begrifflich zu bestimmen, eine Vielzahl von Bildern und Stimmen kommt in den Evangelien zur Sprache.
Das Ausgangs-Portal bietet auf einer seiner Tafeln „Brücken zwischen den Weisheitsbüchern und Jesus“ an.